Blickwinkel: positiv!
von Samira Holer
Nach dem Unterrichten lese ich im Zug auf dem Heimweg gerne einen Artikel aus «Üben&Musiziern», welches unsere Musikschule uns zur Verfügung stellt. Viele der Artikel sind interessant und regen kurzfristig zum Nachdenken an, haben jedoch keinen spürbaren Einfluss auf meinen Unterrichtsalltag. Ein Text liess mich seit dem Lesen vor ein paar Monaten jedoch nicht mehr los: «Übe, was dir gelingt» von A. Sophie Klaus (Ausgabe 4/23).
«Übe, was dir gelingt»
A. Sophie Klaus beschreibt darin ihre persönliche Erfahrung, wie sie durch Lob von Anderen plötzlich einen Knoten in ihrem Spielen lösen und ihr musikalisches Ziel, ein für sie perfektes Vibrato auf dem Cello, erreichen konnte. Den Kontext beschreibt sie so: In der Klassenstunde durften Alle ausschliesslich loben, keine Kritik oder Verbesserungsvorschläge anbringen. Die Autorin war kritisch, wie soll sie so besser werden? Doch dann lobte ein Mitstudent ihr Vibrato an einer Stelle und seither klappt es auch an jenen Stellen, wo sie bis anhin immer Probleme gehabt hatte, wie von alleine. A. Sophie Klaus berichtet ausserdem, dass es ihr schwer viel, so viel Lob anzunehmen und vor allem, positives Feedback auszusprechen. Nicht, weil es nichts Positives zu sagen gegeben hätte, sondern weil wir uns gewohnt sind, dass ein gutes Feedback auch Optimierungsvorschläge zu beinhalten hat. Mit der Zeit konnte sie beobachten, wie sich ihr eigenes Zuhören veränderte und wie ihr schneller konkrete Aspekte bewusst wurden, die ihr gefielen, sowohl bei anderen, als auch an ihrem eigenen Spielen. Sie machte die Erfahrung, dass sie und ihre Mitstudierenden schneller Fortschritte machten, weil sie merkten, dass sie das, was sie können möchten, schon in sich haben.
Meine Erfahrung
Inspiriert und neugierig bin ich in die neue Unterrichtswoche gestartet und muss gestehen: Den Fokus auf das richtend, was gut läuft, habe ich meinen Schülerinnen und Schülern ganz anders zugehört. Ich habe plötzlich Dinge bemerkt, welche ich vorher überhört hatte und habe auch in scheinbar «talentfreien» Lernenden Stärken erkannt, welche ich nun gezielt fördern kann. Klar, in der Theorie wusste ich, dass jedes Kind Stärken hat und dass diese gefördert werden sollen, aber die Umsetzung fällt mir seit diesem kleinen Experiment deutlich leichter. Das Unterrichtsklima ist angenehmer, denn mein ganzer Fokus ist darauf gerichtet, was jetzt schon gelingt.
Es geht dabei nicht darum, ständig alles gut zu finden und die Lernenden vor unangenehmen Gefühlen, die z.B. durch Kritik oder Fehler ausgelöst werden könnten, zu bewahren. Vielmehr möchte ich meinen Lernenden beibringen, dass sie das, was erfordert ist, schon können. Eine Schülerin hat beispielsweise Mühe damit, zu einer Begleitung im Puls zu improvisieren. Ich bemerke und lobe jetzt viel eher, wenn dies klappt, anstatt ihr zu sagen, an welcher Stelle es wieder falsch war. So kann sich bei der Schülerin eine Vorstellung bilden, wie «im Puls spielen» klingt und sich anfühlt. Eine andere Schülerin übt, Melodien legato zu spielen. Ich ermutige sie, selbst zu erkennen und zu benennen, an welcher Stelle dies geklappt hat, anstatt herauszupicken, wo dies noch nicht der Fall war. Es geht nicht mehr so stark darum, Fehler zu vermeiden, sondern auf eine Klangvorstellung hinzuarbeiten.
Eigenlob stinkt nicht
Eine eigene Klangvorstellung zu entwickeln muss auch geübt werden. Deshalb fördere ich im Unterricht bewusst das Eigenlob meiner Lernenden. Auch dazu rät A. Sophie Klaus in ihrem Artikel. Nach dem Vorspielen müssen alle etwas nennen, was ihnen gut gelungen ist, je konkreter, desto besser. Das braucht anfangs viel Unterstützung durch die Lehrperson, denn wir leben in einer Gesellschaft, in der wir uns selbst nicht loben oder gut finden sollten. Dennoch hat es mich überrascht, wie gross der Widerstand einiger Lernenden ist, über ihr eigenes Spielen etwas Positives zu sagen, sei es jetzt, weil sie es nicht erkennen können oder sich nicht trauen, dies auszusprechen. Mit Fragen wie «Was hat heute besser geklappt als letzte Woche?» oder «Welche Takte sind dir besonders gut gelungen?» helfe ich den Lernenden, ihre eigenen Fortschritte zu erkennen und zu loben. Anschliessend sage ich noch ein paar Worte dazu, was mir besonders gefallen hat. Oft decken sich die Aussagen der Lernenden mit meinen Eindrücken. Dies ermutigt die Schülerinnen und Schüler, sich auf ihre eigenen Einschätzungen zu verlassen und zeigt ihnen ausserdem, dass ich mich als Lehrperson viel mehr über ihre Erfolge freue, als dass ich mich über ihre Fehler ärgere. Ich hoffe, dass sie so auch zuhause mehr «wohlwollend» statt «Fehler vermeidend» üben.
Fazit
Bedeutet das nun, dass wir unseren Lernenden nie mehr sagen dürfen, an welcher Stelle der Rhythmus noch nicht ganz korrekt gespielt oder die Töne nicht richtig gegriffen werden? Natürlich nicht. Korrekturen braucht es im Instrumentalunterricht. Wenn wir uns aber überlegen, wie wir positiv formulieren können, was wir erreichen möchten, kann das unsere Lernenden motivieren und zielgerichteter dorthin führen. Dies gilt übrigens nicht nur für unsere Schülerinnen und Schüler, sondern auch in unserem eigenen Üben. Mich auf das Positive zu konzentrieren gelingt mir beim Unterrichten schon ganz gut, also kann ich das ab jetzt auch in meinem eigenen Spielen tun.